Die Ahnen - Gustav Freytag
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Nicht lange, so vernahm er wieder Tritte und sah einen Lichtstrahl, der Riegel rasselte und der Mönch Eggo winkte ihm zu folgen. Leise gingen beide die Stufen hinauf; ein großer Raum, in den sie traten, war undeutlich erhellt durch die glimmenden Holzkloben im Kamin. Auf Bänken an der Wand und auf dem Boden lagen Reisige des Abtes in tiefem Schlaf. Wieder mahnte ein Zeichen des Mönchs zur Vorsicht, er öffnete eine eisenbeschlagene niedrige Tür und führte eine Wendeltreppe hinauf. Als Immo aus der Tiefe emportauchte, stand er in einem kleinen Zimmer, dessen Wände zierlich mit dunklem Holz getäfelt waren.
Auf dem Tisch stand eine metallene Lampe, deren rötliche Flamme im Luftzuge flackerte und rauchte; Eggo trug eine Wolldecke herzu, legte sie auf den Boden und flüsterte: »Rühre dich nicht und schlafe, wenn du vermagst.« Gehorsam setzte sich Immo auf die Dielen, und als er zur Seite blickte, sah er den Mönch wie einen Schatten an der Wand dahingleiten und hinter einem Teppich verschwinden. Er starrte in den dämmrigen Raum, auf die dunklen Bretterwände, an denen die Hirschgeweihe sich im lodernden Lichte bewegten, und auf die Waffen in den Ecken, deren Metall bald hell erglänzte, bald in Finsternis schwand. Aber das Herz war ihm leicht geworden, denn er erkannte wohl, daß Herr Bernheri ihn nicht für die Rache des Tutilo aufbewahren wollte; er schloß die müden Augen und entschlief.
So mochte er lange gelegen haben, da erwachte er von einer leisen Berührung, er fuhr auf und blickte erstaunt um sich. Noch war es Nacht, die Lampe brannte trüber, über den Waldhügeln lag der graue Dämmerschein des nahen Morgens, und an seinem Lager erkannte er eine dunkle Gestalt. Erschrocken hob er den Leib und stützte sich auf die abgewandte Hand. Neben ihm saß der fremde Mönch, der als Lehrer in das Kloster gekommen war. Immo wollte aufspringen, aber Reinhard drängte ihn durch eine Bewegung zurück. »Sitze an meiner Seite, Immo, und öffne dein Ohr, damit eine leise Mahnung in deine Seele falle. Höre mich mit Vertrauen, wenn ich dir auch noch fremd bin, denn nicht als dein Kerkermeister, sondern wie ein Freund will ich zu dir reden und von deiner Heimat will ich dir Gutes verkünden. Frau Edith sendet dir ihren Muttersegen: Sage meinem Sohn, sprach sie, jeden Abend und jeden Morgen flehe ich zu den Heiligen, daß sie ihm das Siegestor öffnen. Schwer wird der Mutter, das Angesicht des Sohnes zu missen, auch darum hoffe ich, daß die Himmlischen das Opfer gnädig annehmen.«
Immo senkte das Haupt, erweicht durch den Gedanken an die Heimat. Reinhard fuhr fort: »Schon in der nächsten Zukunft hätte ich dir die Pforte des Klosters geöffnet, damit du unter den Kindern der Welt dem Herrn dienest. Aber dein frecher Mut hat dich schuldig gemacht, schwerer Strafe bist du verfallen. Darum komme ich, um mit dir zu erwägen, wie du dich rettest.«
Immo neigte sich über die Hand des Lehrers und sprach demütig: »Kannst du mir helfen, Vater, so flehe ich, verlaß mich nicht.«
»Eine Rettung weiß ich,« fuhr Reinhard fort, »die seligste von allen: demütige dich selbst, Immo, vor dem Altar und trage geduldig die Folgen deiner Untat. Ein Weltgeistlicher solltest du werden, wähle das Mönchsgewand und gelobe dich dem heiligen Wigbert. Das ist die Buße, welche dir alle hohen Fürsten des Himmels geneigt macht und ebenso die Herzen der Brüder im Kloster.«
Immo sprang auf, seine Hände ballten sich und zornig rief er: »Meinst du, daß ich als büßender Mönch vor dem Altar liegen und daß Tutilo die Geißel über mir schwingen soll, wie ich sie heut über ihm schwang?«
»Fürchtest du die Geißel des Tutilo, dann denke lieber daran, daß du jetzt unter seiner Faust stehst und daß ihm morgen die Brüder die Rache geben werden, die er an deinem Leibe zu fordern hat.«
»Nimmer schwingt er die Peitsche über mir, während ich atme«, schrie Immo. »Wenn sie mich zur Verzweiflung treiben, so sollen sie einen Verzweifelten finden. Vor dem Altar töte ich ihn und jeden, der mich anzugreifen wagt; von der Klostermauer springe ich, vom Turm stürze ich mich und Feuer lege ich in das Haus der Mönche. Wenig liegt mir an dem Leben eines Hundes und ich werfe es von mir, wie ich dieses Gewand von mir schleudere, wenn ich ein anderes auf meinem Wege finde.«
»Wie ein Heilloser schreist du,« versetzte Reinhard, »Tutilo sprach nicht unrecht, als er dich mit einer wilden Katze verglich.«
»Tat er das,« rief Immo, »so freut‘s mich, daß er die Krallen gefühlt hat.«
»Dennoch rate ich dir, mein Sohn, daß du dich noch einmal an meine Seite setzest, wenn du deine Wut zu bändigen vermagst. Wehre mir nicht, dir zu raten, weil dies eine, die dir lieb ist, von mir erbat.«
Immo ging langsam zu seinem Lager zurück, setzte sich zu den Füßen des Mönchs und stützte sein heißes Haupt in die Hand.
»Wundere dich nicht, Immo, wenn ich dich einlade, zu werden, was ich selbst bin. Denn auch ich habe mich von Vater und Mutter geschieden und ich habe die Rosse und Hufe, die mein Erbteil sein sollten, den Heiligen dargebracht, weil ich um meiner Seele Heil bebte und lieber die Gnade des Herrn wählte als die vergänglichen Freuden dieser Welt. Auch ich entsage und gehorche und wandere wie ein Fremdling durch die Welt. Ob der Frost den Leib bedrängt, der Hunger quält und Gefahren drohen, gleichgültig und verächtlich ist mir das alles in den Stunden seliger Freude. Nicht Liebe des Weibes, nicht das Lied des Sängers, welches den Helden ehrt, schaffen solches Glück wie die Heiterkeit ist, die ich im Herzen trage, wenn ich zu den Füßen des Herrn liege, dem ich mich als Knecht gelobt habe. Darum möchte ich deine Seele und die Seelen aller, welche mir vertraut werden, den Greueln der Welt entreißen und den Handgriffen des üblen Teufels.«
Immo schwieg nachdenkend. »Vater,« sprach er, »beantworte mir eine Frage, die ich unwissend tue. Wenn es dir und anderen frommen Männern nun gelänge, alle Christen auf deinen Weg zu leiten und wenn alle zu Mönchen und Nonnen würden, verzeih, Vater, aber ich meine, dann wird es an Kindern fehlen.«
»Ob du arglos sprichst oder ob du mich durch gewundene Rede versuchen willst, du sollst die Verkündigung hören«, versetzte Reinhard feierlich. »Käme diese selige Zeit, die, wie du selbst weißt, noch weit entfernt ist, dann wird sich der Himmel auftun und der Herr wird mit den himmlischen Heerscharen heranziehen zum Gericht; aus der alten Welt des Jammers und der Sünde wird eine neue erstehen, in welcher die Seligen im Lichtglanz dahinwandeln.«
Immo sah bei dem rötlichen Schein der Lampe, wie das Auge des Mönchs leuchtete und seine Hände sich unwillkürlich zum Gebet schlossen. »Du selbst weißt, mein Vater,« begann er bittend, »daß der gute Gott den Vögeln ungleichen Gesang gegeben hat. So hat er auch den Menschen verschiedene Gaben ausgeteilt, als er in den Erdgarten kam, um die Kinder durch seine Geschenke zu ehren. Ich aber möchte den Gaben vertrauen, die ich an mir erkenne.«
»Mit guten Sinnen sprichst du, Immo,« versetzte Reinhard, »und verwundert höre ich, wie klug du die Worte setzest. Auch dies ist eine Gabe, die der Herr solchen verliehen hat, die er für seinen Dienst bestimmt.«
»Nicht zum erstenmal füge ich die Worte in dieser Sache,« versetzte Immo, »denn oft haben Väter des Klosters, die mir günstig waren, ähnlich zu mir gesprochen wie du. Wisse, Vater, da du so gutherzig mit mir redest, zu lange weile ich schon im Kloster und ich bin seiner herzlich müde. Wenn ich auf dem Roß sprenge, bin ich glücklicher als zu Fuß und, Vater, als ich gegen die Reiter des Grafen ritt, um den Hugbald herauszuziehen, da war mir so fröhlich zumut, wie nach deinen Worten dir bei dem Altare. Daran erkenne ich, daß ich nicht gemacht bin, Mönch zu werden.«
»Und doch, Immo,« entgegnete Reinhard, »sollen alle Menschen in jenem Leben teilhaftig werden der Gemeinschaft der Heiligen.«
»Und meinst du, Vater, daß man in der großen Halle des himmlischen Königs nur Ehre erlangen kann, wenn man den Freuden dieser Welt gänzlich entsagt und als Mönch oder Nonne betet?«
»Wie magst du zweifeln,« entgegnete Reinhard eifrig, »da es verkündet ist. Weißt du nicht, daß geschrieben steht: wer sich erniedrigt, der soll erhöhet werden? Wer lebt demütiger als der Mönch? Schwer ist‘s in den Freuden der Welt dem Herrn wohlgefällig zu bleiben und die liebsten Genossen des Himmelsherrn werden nur die sein, welche hier entsagen und büßen.«
»Wahrlich, Vater,« rief Immo, »wenn es in der Himmelsburg so ist wie du verkündest, daß die Mönche und Nonnen vor den anderen an der Herrenbank sitzen, dann will ich in den Pferdestall, wo die Rosse des Engels Michael stehen und anderer schneller Boten, denn lieber will ich dort die Pferde striegeln und die Steigbügel halten, als ewig den Kopf neigen und in das Ohr wispern und nach der Miene des Präpositus und der Dekane sehen, wie hier die Mönche tun.«
Dem Mönch empörte sich das Herz, aber er antwortete ruhig: »Zuchtlose Worte vernehme ich in den Mauern des Klosters; sonst hört man sie nur auf den Burgen der Gewappneten, welche eilig sind, Menschenblut zu vergießen. Deine Rede ist heillos auch für einen Weltgeistlichen, wenn du ein Kanonikus zu Erfurt wirst, wie dein Geschlecht will.«
»Verleidet ist mir das weiße Gewand wie die wollene Kutte,« rief Immo, »und verhaßt auch der Sitz im Chore von Erfurt.«
»Zu dem Grunde, auf welchem dein Geschlecht haust, gehört die Mühlburg. Diese Burg wollen deine Verwandten dem Erzbischof zu Mainz, der dem Stift in Erfurt gebietet, übergeben, damit du als Kanonikus ausgestattet werdest, wie Brauch ist.«
Wieder fuhr Immo in die Höhe. »Um meinetwillen soll mein Geschlecht verzichten auf den festen Sitz, der unsere Ehre war. Mehrmals flüchtete der Vater, wenn der Grenzkrieg entbrannte, die Rosse und Rinder und unsere ganze Habe in den sicheren Bau, und ich und meine Brüder sprangen auf den Mauern und kletterten in den Schluchten. Ein Ahn von mir hat, wie du wissen wirst, den Berg, auf dem die Wigbertleute die Wassenburg gebaut haben, dem Kloster geschenkt, jetzt soll auch die zweite Burgstätte dahin schwinden um meinetwillen! Jammervoll ist mir zu sehen, wie unser Erbe weggegeben wird, damit die Geschorenen in den Wäldern gebieten, wo sonst unser Jagdruf erklang. Wehe mir, daß ich niemanden habe, der meine Klage anhört, als einen landlosen Mönch.«
»Vermagst du noch einmal den Rat des Landlosen anzuhören,« antwortete Reinhard sich erhebend, »so vernimm, was ich dir ungern sage und nur, weil es mir befohlen ward, was aber für deinen weltlichen Sinn die letzte Hilfe sein kann in der Not, welche dich bedrängt. Merke wohl, Immo, du kannst frei von hier ziehen, wohin dich dein Gelüst treibt, ein Kriegsmann magst du werden, der auf die Mühlburg sein Gemahl heimführt und unter den Edlen von Thüringen im Heergewand reitet.«
»Sage mir, Vater, was soll ich tun, damit ich dies Glück erreiche?«
»Gelobe, bevor du scheidest, Burg und Berg deinem Herrn Bernheri in die Hand zu geben, damit du sie als Lehn für dich und dein Geschlecht zurückerhältst. Nützen wirst du dem Kloster auch als Lehnsmann und Vogt, der für das Kloster sorgt, wie ja viele aus den edelsten Geschlechtern tun, um den Heiligen zu gefallen. Gelobst du dies, so vermag der Abt dich zu schützen gegen jeden Feind, den du hier und anderswo hast; denn auch so dienst du den Heiligen und du weißt ja selbst, es ist leichter Dienst, den sie dir auflegen.«
Immo stand betroffen. Der Weg, welchen ihm der Mönch wies, bot vieles, wonach sein Herz sich sehnte, er wußte recht gut, wie stolz das Kloster auf seine Burgen war und daß er als Lehnsmann des Klosters den Wigbertleuten wertvoller wurde, wie als Mönch. Dennoch empörte sich sein stolzes Herz bei dem Gedanken, als Dienender den Schild zu tragen. Er schwieg und starrte vor sich hin.
Reinhard, der den Kampf des Jünglings beobachtete, fuhr fort: »Einer deiner Ahnen starb in der Heidenzeit unter dem Schildrand für die heilige Kirche. Wie darf sein Enkel zaudern? Dienstmann der Heiligen wurde jener im Tode, du aber sollst in demselben Dienste mit Ehren leben.«
Immo fuhr zusammen, denn bei der Rede des Mönchs vernahm er noch eine andere Stimme und neben dem hageren Antlitz des Lehrers sah er das rundliche Gesicht und das herzliche Lächeln des Greises Bertram und in ihm klangen die Worte, welche ihm übergeben waren: »Birg‘ nie in fremder Hand, was du allein zu halten vermagst, wenig frommt dem Manne zu dienen, wo er gebieten könnte.« Da sprach er: »Ich höre eine Mahnung in meinem Innern, daß ich deinem Rat nicht vertrauen soll, und ich will nicht.«
»Eine Waise bist du, ohne Freundschaft stehst du hier, dein eigenes Geschlecht ist deinen weltlichen Wünschen zuwider; St. Wigbert aber vermag dich zu schützen wie ein Vater und keinen erlauchteren Herrn kannst du wählen als den hohen Heiligen.«
»Ich will nicht dienen«, antwortete der Jüngling; die Lippen schlossen sich fest und er sah in seinem Trotz aus wie ein älterer Mann.
»Nur kurz ist die Zeit, die zum Widerstande bleibt,« mahnte Reinhard, nach dem Fenster deutend, »sieh diesen Docht, welcher verglimmt und den Morgen, welcher aufsteigt.«
»Und ich will nicht und will nicht«, antwortete Immo tonlos.
Reinhard wandte sich traurig ab: »Fruchtlos ist die Mühe, dir durch Worte den trotzigen Sinn zu wandeln. Dennoch bleibst du ein Kind meiner Sorgen und käme der Tag, wo du gute Meinung für dich begehrst, so wisse, Immo, daß du sie bei mir findest.« Er hob die Hand zum Segensgruß und verließ das Zimmer.
Immo sah ihm nach und dachte: ob dieser so ist, wie Sintram sprach, daß er treulich für mich beten wird? und er schüttelte das Haupt. Er warf sich auf sein hartes Lager zurück, aber die Gedanken fuhren ihm stürmisch durch das Haupt und er mußte immer wieder nach dem Himmel sehen, der im Osten sich rötete.
Da öffnete sich die Seitentür und Herr Bernheri selbst trat herein, hinter ihm Eggo mit einer großen Kerze in kupfernem Leuchter. Immo fuhr in die Höhe und neigte das Haupt vor dem Gebieter. Mürrisch begann der Abt: »Da seht den Nestling aus den Waldhecken; aber störrisch ist er wie ein junger Geier, und Reinhard hat sich vergebens bemüht, ihm die Kappe umzulegen. Obwohl ich im voraus gesagt habe, daß von dir nicht viel Gutes zu erwarten ist. Ganz unlieb ist mir deine Widerspenstigkeit und ich täte am klügsten, dich gänzlich deinem Schicksal zu überlassen, welches wahrscheinlich jämmerlich sein wird.«
Immo schwieg, aber das Herz hämmerte ihm in der Brust. Herr Bernheri ging schwerfällig auf und ab, an seinen zwinkernden Augen und der gesträubten Haarkrone konnte man erkennen, daß er sich erst vor kurzem vom Lager erhoben hatte. »Bringe mir einen Becher mit gewürztem Wein, Eggo, und stelle ihn hier auf den Tisch. Mit dir aber, du springender Scholastikus, will ich ein Ende machen auf meine Weise und es soll mich nicht kümmern, ob sie dir oder anderen mißfällt.« Wieder ging er nachdenkend auf und ab. »Setze dich an das Pult, nimm die Schreibtafel und den Griffel und laß mich erkennen, ob du etwas von der Kunst der schwarzen Buchstaben gelernt hast.«
Immos Hand bebte und seltsam erschien ihm in dieser Stunde die Forderung des Abtes, aber er setzte sich gehorsam und fragte: »Welchen Duktus befiehlt mein Herr?«
»Vermagst du«, fuhr der Abt überlegend fort, »in lesbarem Latein einen Brief zu schreiben? Verfertige zur Stelle etwas Passendes an mich, damit ich dich prüfe. Schreibe also, daß du wegen des Fastens und deiner Körperschwäche einen Trunk Wein ersehnst und mich darum anflehst.«