Die Ahnen - Gustav Freytag
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»Mein Gedanke ist,« rief Ingram, »daß ich ein gutes Weib haben werde, wenn das Schicksal mir verstattet, im Lichte zu leben, und eine Hausfrau, die verständiger für das Rechte sorgt als ihr Wirt.«
»So rühme ich dich, Ingram«, fuhr Walburg siegreich fort. »Wie wir aus der Not kommen, weiß der liebe Gott allein, aber ihm vertraue ich und ihm danke ich, daß ich dich im Walde gefunden und dein Herz erkannt habe, wie du gesinnt bist.« Sie neigte das Haupt und sprach das Vaterunser, Ingram saß still an ihrer Seite und hörte auf die Bitten, die sie raunte. Als sie darauf neben ihm saß mit gefalteten Händen und lächelndem Munde, rührte er leise an ihren Arm und bat: »Komm, Walburg, daß ich dich aus dem Schatten in die Sonne führe.« Das Mädchen wandte sich zu ihm: »Steht mir die Narbe häßlich?«
»Ich merke sie nicht mehr«, versetzte Ingram ehrlich.
Walburg seufzte. »Vielleicht wirst du sie gewohnt. Du aber, mein Held, harre noch ein wenig. Wie du jetzt bist, darf dich die Sonne nicht sehen, denn sie scheint ungern durch Löcher im Gewande auf die bloße Haut, und auch das wilde Haar steht einem Bräutigam schlecht. Zieh erst die Jacke aus, daß ich dir sie nähe, und suche unterdes den Quell, damit du dir daran das Haupt schmückest, wie sich‘s gebührt.« Sie öffnete ihren Korb und holte emsig Faden und Nadel hervor. »Allerlei habe ich mitgebracht, was kein Mensch unter den Bäumen findet und was doch jeder braucht, wenn er anderen gefallen will. Hier ist dein Bräutigamshemd, ob du es meinetwegen tragen willst, ich habe es unter Schmerzen genäht, als ich krank saß. Denn du lebst jetzt nicht mehr für dich allein, auch für mich hast du zu sorgen, und vor allem hast du darauf zu denken, daß du mir immer gefällst.« Sie trieb ihn fort und besserte eifrig die Risse in dem braunen Wollkleide.
Als er wieder aus der Tiefe auf sie zusprang, riß sie den letzten Faden ab und half ihm die Jacke anziehen und vom Moose säubern: »So gefällst du mir, denn ganz verwandelt stehst du unter den Bäumen. Und jetzt, Ingram, bin ich bereit, dir zu folgen, wohin es auch sei.« Sie packte ihr kleines Gerät zusammen, und als er den Korb heben wollte, wehrte sie es. »Das geziemt dem Krieger nicht, nur mich selbst darfst du tragen, wenn mich die Kraft verläßt. Gib mir deine Hand, damit ich mich darauf stütze.«
So schritten sie schweigend nebeneinander über den Moosgrund bis zu einem Felshaupt, das sich zwischen den Bäumen erhob. Der Stamm, welcher einst darauf gestanden hatte, war gefallen, und auf der Stätte blühten im Sonnenlicht wallende Gräser, Heidenröschen und blaue Glockenblumen. Da drückte sie seinen Arm und mühte sich, ihre Bewegung unter einem Lächeln zu verbergen: »Halt an, Ingram, und vernimm noch das letzte. Deine Braut will ich werden zu dieser Stunde, aber dein Ehegemahl wird die Tochter deines Gastfreundes erst im Ringe der Verwandten, wenn mein Oheim die Frage der Vermählung tut. Denn der Sitte gedenken wir, auch wenn wir allein sind. Bis dahin liegt zwischen uns ein blankes Messer, das du mir einst geschenkt.« Sie zuckte in ihr Gewand und hob die Klinge heraus, die sie in der Halle des Ratiz gegen sich gebraucht hatte. »Denke an das Messer, Ingram, wenn du meine Wange nicht siehst.«
»Leidig ist das Messer«, rief Ingram unwillig.
»Ein guter Warner ist es«, rief Walburg und faßte bittend seine Hand. »Mahnen soll es dich, damit du dein lebelang deine Hausfrau ehren kannst.«
Ingram seufzte, aber gleich darauf sprach er mit gehobenem Haupt: »Du denkst, wie meinem Weibe gebührt.«
Beide traten in das Licht und sprachen vor der Himmelssonne ihre Namen und die Worte, durch welche sich jedes dem anderen verlobte für das Leben und den Tod. Als Ingram das Weib nach der Sitte durch ein Zeichen binden wollte und zurück sah, um ein Reis zu brechen, das er ihr um den Arm winde, da sagte sie leise: »In deiner Tasche barg ich das feste Band, welches mich an dich bindet.« Er faßte den harten Gurtriemen des Messers, das er ihr in der Todesnot gereicht hatte. Und als er sie nach dem Verlöbnis umschlang, da fühlte sie, wie sein starker Leib in der Aufregung bebte, und sie sah, daß die Sonne ein bleiches und trauriges Antlitz beschien. Lange hielt sie ihn fest und ihre Lippen bewegten sich. Aber gleich darauf begann sie heiter: »Jetzt lagere, Held, damit ich dir das Brautmahl bereite, denn das ist eine Ehre der Braut und sie läßt sich‘s nicht nehmen. Fehlt‘s heut an anderen Gästen, so laden wir die kleinen Waldvögel, wenn diese hier auf der Höhe bereit sind uns Freundliches zu singen.« Sie zwang ihm die Kost ein, welche sie mitgebracht hatte, und legte ihm die guten Bissen vor, wie einem Kranken. Dabei erzählte sie ihm gleichmütig ihre Sorbenfahrt, und von dem Fleiß auf dem Meierhofe, auch von dem Kranz der wilden Gertrud, bis er sie wieder mutig anlachte.
Die Sonne stieg aus der Mittaghöhe hinab und Ingram sah nach dem Himmel. »Ich erkenne, mein Herr denkt an den Aufbruch«, sagte Walburg. »Führe deine Waldbraut, wohin es dir gefällt. Sicher hast du als rühmlicher Jäger eine Baumhütte, die ich dir stattlich machen will.«
»Das Lager des Wildtiers, nach dem du fragst, ist unter den Steinen,« antwortete Ingram ernsthaft, »zufällig habe ich es aufgefunden, und außer mir kennt es wohl nur einer, der lebt. Es ist weit von hier, und ungern führe ich dich hinein; doch ist es gut, wenn du die Zuflucht kennst.«
»Komm,« rief Walburg, »mich ängstigt, daß deine Augen so unruhig umherfahren, wenn ich zu dir rede.«
Wieder gingen sie unter dem Schattendach auf ungebahntem Wege dahin, aus dem Laubwald in Nadelholz, über Berg und Tal, durch Erdspalten und rinnende Bäche. Einmal hielt Ingram still, warf sich zu Boden und riß Walburg nach. »In der Nähe läuft ein Saumpfad über die Berge«, raunte er. Gleich darauf hörte Walburg Männerstimmen und sah in einiger Entfernung zwei Bewaffnete vorüberreiten. Als Stimmen und Hufschlag verhallten und Ingram sich erhob, war er bleich wie ein Sterbender und kalter Schweiß lag auf seiner Stirn. »Es waren Reisige des Grafen«, sagte er heiser. Sie strich ihm mit ihrem Tuch über die Stirn. »Halte nur aus, auch der Tag wird kommen, wo diese sich grüßend vor mir neigen«, aber sie fühlte tief im Herzen die bittere Scham des Friedlosen. Stumm gingen sie weiter. Oft hielt Ingram an, lauschte und sah ängstlich um sich, endlich drangen sie abwärts durch dichtes Laubholz, zwischen dem nur einzelne Hochstämme ragten. Als Walburg mühsam an den Fuß eines steilen Abhangs niedergetaucht war, wo das Gebüsch dicht umschloß, hielt Ingram an: »Hier ist die Stelle; fürchte dich nicht, Walburg, und vertraue mir.« Sie nickte ihm zu, er bog die Zweige auseinander und wälzte eine Steinplatte zur Seite, vor ihm gähnte eine schwarze Öffnung. »Enge ist der Pfad, der in die Tiefen der Erde führt, hier ist fortan deine Wohnung, Wolfsbraut.« Walburg trat schaudernd zurück und machte das Kreuzeszeichen. »Bist du es erst gewöhnt, dann lachst du wie ich«, tröstete Ingram, aber er selbst lachte nicht. »Ich gehe voran und halte dich an der Hand, bücke dein Haupt, daß der Fels dich nicht verletze.« Er drang hinein und zog sie nach. In schwarze Nacht ging es eine Strecke abwärts, sie tastete mit Fuß und Hand.
»Fürchterlich ist der Weg in die Totenhölle«, seufzte sie; er aber zog sie weiter. »Jetzt steh fest, damit ich dir leuchte.« Er ließ ihre Hand los; sie stand auf unebenem Boden, an ihren Seiten war der Fels gewichen und mit Entsetzen griff sie um sich in leere Finsternis. Da erglomm ein Funke, das Licht ging auf und erfaßte einen Haufen Reisig; bei der roten Flamme sah sie rings um sich eine gewölbte Höhle, die scharfen Zacken des Gesteins blitzten wie Silber und rotes Gold. Vor ihr neigte sich der Boden schräg hinab bis zu einer schwarzen Wasserfläche, welche den hinteren Grund der Höhle bedeckte. Der Rauch wirbelte aufwärts um den strahlenden Fels, bis er in graulicher Dämmerung schwand, wo durch einen Spalt in der Höhe ein bleicher Schimmer Tageslicht hineinfiel. Zwischen dem blinkenden Stein, dem schwarzen Wasser und der lodernden Flamme sank Walburg auf die Knie und schloß mit gefalteten Händen die Augen. »Fürchte dich nicht, Walburg,« tröstete Ingram, »ist der Stein auch kalt und das Wasser auch tief, dennoch ist der Felsbau ein guter Schutz.«
»Hier ist die Behausung der Heidengötter,« murmelte Walburg bebend, »in solcher Höhle schlummern sie im Wintersturm, wie die Leute sagen. Jetzt mögen sie hier weilen, um sich vor dem Christengott zu bergen, und frevelhaft war es für dich und mich, in ihre Nacht zu dringen.«
Ingram sah unruhig um sich, aber er schüttelte das Haupt. »Hausen sie hier, ich habe sie noch nicht gefunden, obgleich ich gezagt habe ganz wie du, da ich zuerst hier eindrang. Und wieder zu anderer Stunde habe ich hier gelegen am flammenden Feuer und in schwarzer Finsternis, und ich habe sie mit wildem Mute gerufen, daß sie mir halfen, alle heiligen Götternamen. Aber Walburg,« flüsterte er, »keiner hat mich gehört. Der hohen Menschenherrin Frija, meinte ich, gehöre die Steinhalle, denn die Weisen sagen, daß sie gnadenvoll in den Bergen waltet und sterbende Männer zuweilen bei sich aufnimmt, und da ich zweifelte und ausgestoßen war, so wähnte ich, daß sie mir die Gunst ihrer Höhle gewährt habe, und obwohl sich mir das Haar sträubte, so nannte ich sie doch, ich flehte und schrie und gelobte mich ihrem Dienst, aber sie kam nicht. Die Flamme loderte wie jetzt, nur in dem Wasser wirbelte es, und ich erkannte eine große Wasserschlange, welche umherfuhr. Ich schaute in ihr die Göttin, warf mich zu Boden und hörte die Schlange rauschen, gerade wie jetzt«, er wies auf das Wasser, Walburg stieß einen gellenden Schrei aus, denn eine große Schlange wand sich in der Flut, und ihr Kopf hob sich über die Wellenringe an der Oberfläche.
»Flieh, Ingram,« flehte Walburg, »ich weiß, und es steht in den heiligen Büchern geschrieben, daß solcher Wurm dem Menschen alles Unheil sinnt.«
»Er bringt Schätze, sagen sie,« versetzte Ingram leise, »doch habe ich hier noch kein Gold erspäht. Einmal kam die Schlange hervor und rollte sich auf der warmen Kohlenstätte, da meinte ich sicher, daß sie die Herrin der Höhle sei. Aber Mädchen, ich glaube nicht mehr, daß sie es ist. Denn ich sah einst, wie eine Maus längs dem Wasser dahinfuhr. Und der Wurm schnellte hervor und verschlang die Maus und lag dann am Ufer mit geschwollenem Leibe.«
»Weißt du, wer die Maus war?« mahnte Walburg ängstlich. »Mancher Unhold wandelt in Maushülle.«
Aber Ingram versetzte kopfschüttelnd: »Ich meine, es war eine Waldmaus wie viele andere. Seitdem fürchte ich die Schlange nicht sehr. Und wenn sie auch manches vermag, so ist‘s doch nichts Arges, denn friedlich hausen wir nebeneinander. – Und daß ich dir alles vertraue, Walburg,« fuhr er schwermütig fort, »ich glaube nicht mehr, daß die Menschengötter groß um mich sorgen. Es gelang mir auch nicht mit Hilla, der weisen Frau, als ich mich in ihre Hütte wagte.«
»Unseliger,« schrie Walburg, »zu der Zauberfrau bist du gegangen, die sie eine Hegisse nennen? Sie opfert den Nachtgeistern und heillos wird jeder, der mit ihr zu tun hat.«
»Das sagt ihr Christen. Doch leugne ich nicht, ihr Wesen ist traurig und unhold ihre Arbeit. Sie forderte zu dem Nachtwerk, das sie für mich beginnen wollte, ein lebendiges Kind.«
»Du aber widerstandest?« rief Walburg.
»Ich dachte an dich,« versetzte Ingram zögernd, »und daß ich zu den Sorben gefahren war, um Kinder zu lösen. Und ich ging nicht wieder zu ihr. Seitdem lebe ich wie einer, den die Überirdischen nicht mehr schützen, denn auch sie achten den Friedlosen gering. Nur einer hohen Herrin vertraue ich mich,« fuhr er geheimnisvoll fort: »der Schicksalsfrau, welche mit ihren Schwestern auf dem Gewässer schwebt, und ich meine, es wird besser um mich stehen, wenn ich in dem Tale flehe, über dem sie waltet.«
»Von der Wasserfrau am Idisbach sprichst du?« fragte Walburg scheu. Ingram nickte. »Sie ist meinem Geschlecht seit der Urzeit hold, und eine Sage kündet, wie sie uns günstig wurde. Willst du sie hören, so vernimm, denn dies ist die Stunde, wo ich dir mein Geheimnis vertrauen darf.« Er warf neue Holzbündel in die Flamme, daß sie prasselnd aufloderte, zog die erschrockene Walburg neben sich auf einen Moossitz und begann feierlich: »Ingo ist der Ahn genannt, von dem ich stamme, ein Held der Thüringe. Er war der Tochter seines Häuptlings lieb, die der Vater einem anderen gelobt hatte. Und als der Held seinen Feind auf der Kampfaue gefällt hatte, machten sie ihn friedlos, und er schweifte als fahrender Recke. Einst ritt er am Wasser dahin, sie sagen, es war der Idisbach, da sah er eine wilde Otter, welche gegen einen Schwan kämpfte. Er erlegte die Otter, und als er darauf unter dem Eschenbaum saß auf der Höhe, hob sich aus dem Schwanenkleid die Herrin des Baches, sang über ihm glückbringende Runen und begabte ihn mit einem Zauber, der ihm Sieg und Unsichtbarkeit gegen seine Feinde verlieh. Mit dem Zauber drang der Held bei Nacht in den Hof des Häuptlings und entführte die Jungfrau, welche er liebte. Er zimmerte sich über dem Bach der Göttin seinen Hof, dort hauste er gewaltig, die Männer des Tales dienten ihm, und keiner seiner Feinde vermochte ihm obzusiegen. Einst aber holte der kleine Sohn des Helden den Zauber aus der Truhe, hing ihn um und wandelte in den Wald. Da wurden die Feinde meines Ahnen mächtig und verbrannten ihn und die Hausgenossen mit dem Hofe. Nur der Knabe entrann. Von ihm stamme ich.«
»Weißt du, Ingram, ob die Gabe in Wahrheit Glück brachte?« fragte Walburg.
»Wie darfst du zweifeln,« rief Ingram unwillig, »es ist geheime Kunde meines Geschlechtes, und ich selbst bewahre noch den Zauber, das Erbe meiner Ahnen.«
»Du trägst bei dir, was von Unholden stammt?« schrie Walburg angstvoll. »Laß mich‘s sehen, daß ich wisse, denn auch dies ist jetzt mein Recht.«
»Du stehst unter dem Kreuze,« versetzte Ingram besorgt, »und ich weiß nicht, ob du dem Zauber günstig bist und er dir. Doch will ich dir‘s heut nicht bergen.« Er riß das Kleid auf und wies eine kleine Tasche von abgestoßenem Fell, die an seinem Halse hing. »Dies Zeichen ist so echt und heilig als irgend etwas auf Erden; sieh her, du magst noch erkennen, daß es in Wahrheit vom Otterfell stammt. Mein Vater trug es zuweilen, und meine Mutter übergab es mir. Als ich nach den Kindern ritt, barg ich es im Gewande, und darum, fürchte ich, ward der Sorbe mein Herr. Nach der Heimkehr band ich es um.«
»Und an demselben Abend verlorst du den Frieden«, mahnte Walburg.
»Ich verlor ihn,« versetzte Ingram düster, »vielleicht, daß der Zauber nicht den Frieden bewahrt, denn friedlos war auch mein Ahnherr, da er ihn empfing.«
Mit geheimem Grauen erkannte Walburg, daß der Mann, den sie liebte, unter der Macht unholder Gewalten stand. Die Flamme loderte und warf rote Funken umher, der zackige Stein leuchtete und blitzte, und unten in der Tiefe wirbelte der teuflische Wurm.
»Wer wärmt hier so frech sein Gebein?« rief eine wilde Stimme vom Eingang her, »den Rauch roch ich über den ganzen Berg.«
Aus dem Felsspalt trat schwerfällig in dunklem Kleide von Fellen eine riesige Gestalt, blutbespritzt war das Gesicht und Blut träufelte von den Armen, als der Unhold sich dem Feuer näherte. Walburg fuhr entsetzt in die Höhe. »Ich sehe zwei. Bist du unsinnig, Wolfsgenoß, daß du dir ein Weib unter die Erde holst?«
»Du wähltest üble Stunde einzudringen, Bubbo,« entgegnete Ingram unwillig, »und dir steht Drohen schlecht an, wo du selbst die Hilfe anderer gebrauchst; denn ich sehe, hartem Kampf bist du entronnen.«