Немецкий с любовью. Новеллы / Novellen - Стефан Цвейг
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Ich taumelte durch den Saal… ich merkte, dass die Leute auf mich blickten… ich muss irgendwie sonderbar ausgesehen haben… Ich ging zum Büfett, trank zwei, drei, vier Gläser Kognak hintereinander… das rettete mich vor dem Umsinken… meine Nerven konnten schon nicht mehr, sie waren wie durchgerissen… Dann schlich ich bei einer Nebentür hinaus, heimlich wie ein Verbrecher… ich ging… genau weiß ich nicht mehr zu sagen, wohin ich ging… in ein paar Kneipen und soff mich an… soff mich an wie einer, der sich alles Wache wegsaufen will… aber… es ward mir nicht dumpf in den Sinnen… das Lachen stak in mir, schrill und böse… das Lachen, dieses verfluchte Lachen konnte ich nicht betäuben… Ich irrte dann noch am Hafen herum… meinen Revolver hatte ich zu Hause gelassen, sonst hätte ich mich erschossen. Ich dachte an nichts anderes, und mit diesem Gedanken ging ich auch heim… nur mit diesem Gedanken an das Schubfach links im Kasten, wo mein Revolver lag… Das ich mich dann nicht erschoss… ich schwöre Ihnen, das war nicht Feigheit… es wäre für mich eine Erlösung gewesen, den schon gespannten kalten Hahn abzudrücken… aber wie soll ich es Ihnen erklären… ich fühlte noch eine Pflicht in mir… ja, jene Pflicht, zu helfen, jene verfluchte Pflicht… mich machte der Gedanke wahnsinnig, dass sie mich noch brauchen könnte, dass sie mich brauchte… es war ja schon Donnerstag morgens, als ich heimkam, und Samstag… ich sagte es Ihnen ja… Samstag kam das Schiff, und dass diese Frau, diese hochmütige, stolze Frau die Schande[225] vor ihrem Gatten, vor der Welt nicht überleben würde, das wusste ich… Ah, wie mich solche Gedanken gemartert[226] haben an die sinnlos kostbare Zeit, an meine irrwitzige[227] Übereilung, die jede rechtzeitige Hilfe vereitelt hatte… stundenlang, ja stundenlang, ich schwöre es Ihnen, bin ich im Zimmer niedergegangen, auf und ab, und habe mir das Hirn zermartert, wie ich alles gutmachen, wie ich ihr helfen könnte….. es war schon Tag, es war schon Vormittag… Und plötzlich schmiss es mich hin zu dem Tisch… ich riss ein Bündel Briefblätter heraus und begann ihr zu schreiben… alles zu schreiben… einen hündisch Brief, in dem ich sie um Vergebung bat, in dem ich mich einen Wahnsinnigen, einen Verbrecher nannte… in dem ich sie beschwor, sich mir anzuvertrauen… Ich schwor, in der nächsten Stunde zu verschwinden, aus der Stadt, aus der Kolonie, wenn sie wollte: aus der Welt… nur verzeihen sollte sie mir und mir vertrauen, sich helfen zu lassen in der letzten, der allerletzten Stunde… Zwanzig Seiten fieberte ich so hinunter… es muss ein toller, ein unbeschreiblicher Brief sein, denn als ich aufstand vom Tisch, war ich in Schweiß gebadet[228]… das Zimmer schwankte, ich musste ein Glas Wasser trinken… Dann erst versuchte ich den Brief noch einmal zu überlesen, aber mir graute nach den ersten Worten… zitternd faltete ich ihn zusammen, fasste schon ein Kuvert… Da plötzlich fuhr mich durch. Mit einem Male wusste ich das wahre, das entscheidende Wort. Und ich riss noch einmal die Feder zwischen die Finger und schrieb auf das letzte Blatt: „Ich warte hier im Strandhotel auf ein Wort der Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe, erschieße ich mich.“
Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hieß ihn das Schreiben sofort überbringen. Endlich war alles gesagt – alles!“
Etwas klirrte und kollerte[229] neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte er die Whiskyflasche umgestoßen; ich hörte, wie seine Hand ihr suchend am Boden nachtastete und sie dann mit einem plötzlichen Schwung fasste: in weitem Bogen warf er die geleerte Flasche über Bord. Einige Minuten schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und hastiger als zuvor.
„Ich bin kein gläubiger Christ mehr… für mich gibt es keinen Himmel und keine Hölle… und wenn es eine gibt, so fürchte ich sie nicht, denn sie kann nicht ärger sein als jene Stunden, die ich von Vormittag bis abends erlebte… Denken Sie sich ein kleines Zimmer, nur Tisch und Stuhl und Bett… Und auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und einen Revolver und vor dem Tisch einen Menschen… einen Menschen, der nichts tut als immer auf diesen Tisch, auf den Sekundenzeiger der Uhr starren einen Menschen, der nicht isst und nicht trinkt und nicht raucht und sich nicht regt… der immer nur… hören Sie: immer nur, drei Stunden lang… auf den weißen Kreis des Zifferblattes starrt und auf den Zeiger, der tickend den Kreis umläuft… So… so… habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet… aber gewartet wie… wie eben ein Amokläufer etwas tut, sinnlos, tierisch.
Nun… ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern das lässt sich nicht schildern… ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das erleben kann ohne… ohne wahnsinnig zu werden… Also… um drei Uhr zweiundzwanzig Minuten… ich weiß es genau, ich starrte ja auf die Uhr… klopfte es plötzlich an die Tür… Ich springe auf mit einem Ruck durch das ganze Zimmer zur Tür, reiße sie auf… ein ängstlicher kleiner Chinesenjunge steht draußen, einen zusammengefalteten Zettel in der Hand.
Ich reiße den Zettel auf, will ihn lesen… und kann ihn nicht lesen… Mir schwankt es rot vor den Augen… denken Sie die Qual, ich habe endlich, endlich das Wort von ihr!..Ich tauche den Kopf ins Wasser… nun wird mir klarer… Nochmals nehme ich den Zettel und lese: „Zu spät! Aber warten Sie zu Hause. Vielleicht rufe ich Sie noch.“
Keine Unterschrift auf dem zerknüllten Papier, das von irgendeinem alten Prospekt abgefetzt war… ich weiß nicht, warum mich das Blatt so erschütterte[230]… Irgendetwas von Grauen, von Geheimnis haftete ihm an, es war wie auf einer Flucht geschrieben… und doch… und doch, ich war glücklich: sie hatte mir geschrieben, ich musste noch nicht sterben, ich durfte ihr helfen… vielleicht… ich durfte… Hundertmal, tausendmal habe ich den kleinen Zettel gelesen, ihn geküsst… ihn durchforscht nach irgendeinem vergessenen, übersehenen Wort… Plötzlich schreckte ich auf… Hatte es nicht geklopft?… Ich hielt den Atem an… eine Minute, zwei Minuten reglose Stille… Und dann wieder ganz leise, so wie eine Maus knabbert, ein leises aber heftiges Pochen[231]… Ich sprang auf, noch ganz taumelig, riss die Tür auf – draußen stand der Boy, ihr Boy, derselbe, dem ich den Mund damals mit der Faust zerschlagen… sein braunes Gesicht war aschfahl[232], sein verwirrter Blick sagte Unglück… Sofort spürte ich Grauen…
„Was… was ist geschehen?“ konnte ich noch stammeln. „Come quickly“, sagte er… sonst nichts… sofort raste ich die Treppe herunter, er mir nach…
Ein kleiner Wagen, stand bereit, wir stiegen ein… „Was ist geschehen?“ fragte ich ihn… Er sah mich zitternd an und schwieg mit verbissenen Lippen… Ich fragte nochmals – er schwieg und schwieg. – Ich hätte ihm am liebsten wieder ins Gesicht geschlagen mit der Faust, aber… gerade seine hündische Treue[233] zu ihr rührte mich… so fragte ich nicht mehr… Endlich kamen wir in eine enge Gasse, ganz abseits lag sie… vor einem niederen Haus hielt er an… Hastig klopfte der Boy an… Hinter dem Türspalt zischelte[234] eine Stimme, fragte und fragte… Ich konnte es nicht mehr ertragen, sprang vom Sitz, stieß die angelehnte Tür auf…ein altes chinesisches Weib flüchtete mit einem kleinen Schrei zurück… hinter mir kam der Boy, führte mich durch den Gang… klinkte eine andere Tür auf eine andere Türe in einen dunklen Raum, der übel roch von Branntwein und gestocktem Blut… Irgendetwas stöhnte darin… ich tappte hin…“
Wieder stockte die Stimme. Und was dann ausbrach, war mehr ein Schluchzen[235] als ein Sprechen.
„Ich… ich tappte hin… und dort… dort lag auf einer schmutzigen Matte… verkrümmt vor Schmerz…ein stöhnendes Stück Mensch… dort lag sie…Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen im Dunkel… Meine Augen waren noch nicht gewöhnt… so tastete ich nur hin… ihre Hand… heiß… brennend heiß… Fieber, hohes Fieber… und ich schauerte… ich wusste sofort alles… sie war hierher geflüchtet vor mir… hatte sich verstümmeln[236] lassen von irgendeiner schmutzigen Chinesin, nur weil sie hier mehr Schweigsamkeit[237] erhoffte… hatte sich morden lassen von irgendeiner teuflischen Hexe, lieber als mir zu vertrauen… nur weil ich Wahnsinniger… weil ich ihr nicht gleich geholfen hatte… weil sie den Tod weniger fürchtete als mich…
Ich schrie nach Licht. Der Boy sprang: die abscheuliche Chinesin brachte mit zitternden Händen eine Petroleumlampe[238]… Sie stellten die Lampe auf den Tisch… der Lichtschein fiel gelb und hell über den gemarterten Leib… Und plötzlich… plötzlich war alles weg von mir, alle Dumpfheit, aller Zorn, all diese unreine Jauche[239] von aufgehäufter Leidenschaft… ich war nur mehr Arzt, helfender, spürender, wissender Mensch… ich hatte mich vergessen… kämpfte mit wachen, klaren Sinnen gegen das Entsetzliche… Ich fühlte den nackten Leib, den ich in meinen Träumen begehrt, nur mehr als… wie soll ich es sagen… als Materie, als Organismus… ich spürte nicht mehr sie, sondern nur das Leben, das sich gegen den Tod wehrte, den Menschen, der sich krümmte in mörderischer Qual… Ihr Blut, ihr heißes, heiliges Blut überströmte meine Hände, aber ich spürte es nicht in Lust und nicht in Grauen… ich war nur Arzt… ich sah nur das Leiden… und sah…
Und sah sofort, dass alles verloren war, wenn nicht ein Wunder geschehe… sie war verletzt und halb verblutet unter der verbrecherisch ungeschickten[240] Hand… und ich hatte nichts, um das Blut zu stillen in dieser stinkenden Höhle, nicht einmal reines Wasser… alles, was ich anrührte, starrte vor Schmutz… „Wir müssen sofort ins Spital“, sagte ich. Aber kaum dass ich gesagt, bäumte sich krämpfig der gemarterte Leib auf. „Nein… nein… lieber sterben… niemand es erfahren… niemand es erfahren… nach Hause… nach Hause…“ Ich verstand… nur mehr um das Geheimnis, um ihre Ehre rang sie… nicht um ihr Leben… Und – ich gehorchte[241]… Der Boy brachte eine Sänfte… wir betteten sie hinein… und so… wie eine Leiche schon, matt und fiebernd… trugen wir sie durch die Nacht nach Hause… die fragende, erschreckte Dienerschaft abwehrend… wie Diebe trugen wir sie hinein in ihr Zimmer und sperrten die Türen… Und dann dann begann der Kampf, der lange Kampf gegen den Tod…“
Plötzlich krampfte sich eine Hand in meinen Arm, dass ich fast aufschrie vor Schreck und Schmerz. Im Dunkeln war mir das Gesicht mit einem mal fratzenhaft nah. Und jetzt sprach er nicht mehr – er schrie, geschüttelt von einem heulenden Zorn: „Wissen Sie denn, Sie fremder Mensch, der Sie hier lässig auf einem Deckstuhl sitzen, ein Spazierfahrer durch die Welt, wissen Sie, wie das ist, wenn ein Mensch stirbt? Sind Sie schon einmal dabei gewesen, haben Sie es gesehen, wie der Leib sich aufkrümmt[242], die blauen Nägel ins Leere krallen[243], wie die Kehle[244] röchelt, jedes Glied sich wehrt[245], jeder Finger sich stemmt[246] gegen das Entsetzliche, und wie das Auge aufspringt in einem Grauen, für das es keine Worte gibt? Haben Sie das schon einmal erlebt, Sie Weltfahrer, Sie, der Sie vom Helfen reden als von einer Pflicht? Ich habe es oft gesehen als Arzt, habe es gesehen als… als klinischen Fall, als Tatsache… habe es sozusagen studiert – aber erlebt habe ich es nur einmal, miterlebt, mitgestorben bin ich nur damals in jener Nacht… in jener entsetzlichen Nacht, wo ich saß und mir das Hirn zerpreßte, um etwas zu wissen, etwas zu finden, zu erfinden gegen das Blut, das rann und rann und rann, gegen das Fieber, das sie vor meinen Augen verbrannte… gegen den Tod, der immer näher kam und den ich nicht wegdrängen konnte vom Bett.
Verstehen Sie, was das heißt, Arzt zu sein, alles wissen gegen alle Krankheiten – die Pflicht haben, zu helfen, wie Sie so weise sagen – und doch ohnmächtig bei einer Sterbenden zu sitzen, wissend und doch ohne Macht… nur dies eine, dies Entsetzliche wissend, dass man nicht helfen kann, ob man sich auch jede Ader[247] aus seinem Körper aufreißen möchte… einen geliebten Körper zu sehen, wie er verblutet, gemartert von Schmerzen, einen Puls zu fühlen, der fliegt und zugleich verlischt… Arzt zu sein und nichts zu wissen, nichts, nichts, nichts… nur die Fäuste ballen gegen einen erbärmlichen Gott, von dem man weiß, dass es ihn nicht gibt… Verstehen Sie das?
Verstehen Sie das?… Ich… ich verstehe nur eines nicht, wie… wie man es macht, dass man nicht mitstirbt in solchen Sekunden… dass man dann noch am nächsten Morgen von einem Schlaf aufsteht und sich die Zähne putzt und eine Krawatte umbindet… dass man noch leben kann, wenn man das miterlebte, was ich fühlte, wie dieser Atem, dieser erste Mensch, um den ich rang und kämpfte, den ich halten wollte mit allen Kräften meiner Seele… wie der wegglitt unter mir… irgendwohin, immer rascher wegglitt, Minute um Minute, und ich nichts wusste in meinem fieberndem Gehirn, um diesen, diesen einen Menschen festzuhalten… Und dazu, um teuflisch noch meine Qual zu verdoppeln, dazu noch dies… Während ich an ihrem Bett saß – ich hatte ihr Morphium eingegeben, um die Schmerzen zu lindern, und sah sie liegen, mit heißen Wangen, heiß und fahl – ja… während ich so saß, spürte ich vom Rücken her immer zwei Augen auf mich gerichtet mit einem fürchterlichen Ausdruck der Spannung… Der Boy saß dort auf den Boden gekauert und murmelte leise irgendwelche Gebete… Wenn mein Blick den seinen traf, so… nein, ich kann es nicht schildern… so kam etwas so Flehendes, so… so Dankbares in seinen hündischen Blick, und gleichzeitig hob er die Hände zu mir, als wollte er mich beschwören, sie zu retten… verstehen Sie: zu mir, zu mir hob er die Hände wie zu einem Gott… zu mir… dem ohnmächtigen Schwächling, der wusste, dass alles verloren… dass ich hier so unnötig sei wie eine Ameise[248], die am Boden raschelt… Ah, dieser Blick, wie er mich quälte, diese fanatische, diese tierische Hoffnung auf meine Kunst… ich hätte ihn anschreien können und mit dem Fuß treten, so weh tat er mir… und doch, ich spürte, wie wir beide zusammenhingen durch unsere Liebe zu ihr… durch das Geheimnis… Ein lauerndes Tier, ein dumpfes Knäuel, saß er zusammengeballt knapp hinter mir… kaum dass ich etwas verlangte, sprang er auf mit seinen nackten lautlosen Sohlen[249] und reichte es zitternd… erwartungsvoll her, als sei das die Hilfe… die Rettung…
Ich weiß, er hätte sich die Adern aufgeschnitten, um ihr zu helfen… so war diese Frau, solche Macht hatte sie über Menschen… und ich… ich hatte nicht die Macht, ein Quäntchen[250] Blut zu retten… O diese Nacht, diese entsetzliche Nacht, diese unendliche Nacht zwischen Leben und Tod! Gegen Morgen ward sie noch einmal wach… sie schlug die Augen auf… jetzt waren sie nicht mehr hochmütig und kalt… ein Fieber glitzerte feucht darin, als sie, gleichsam fremd, das Zimmer abtasteten… Dann sah sie mich an: sie schien nachzudenken, sich erinnern zu wollen an mein Gesicht… und plötzlich… ich sah es… erinnerte sie sich… denn irgendein Schreck… etwas Feindliches, Entsetztes spannte ihr Gesicht… sie arbeitete mit den Armen, als wollte sie flüchten… weg, weg, weg von mir… ich sah, sie dachte an das… an die Stunde von damals… Aber dann kam ein Besinnen… sie sah mich ruhiger an, atmete schwer… ich fühlte, sie wollte sprechen, etwas sagen… Wieder begannen die Hände sich zu spannen… sie wollte sich aufheben, aber sie war zu schwach… Ich beruhigte sie, beugte mich nieder… da sah sie mich an mit einem langen, gequälten Blick… ihre Lippen regten sich leise… es war nur ein letzter erlöschender Laut, wie sie sagte…